Was ist das eigentlich ein Schüttelreim?

Die meisten Menschen jubeln: "Jaa, luustig, ein Schüttler, ich liiieeebe Schüttler!", aber die wenigsten wissen, wie das eigentlich geht, das Schütteln. Ein Schüttelreim ist ein Reim bei dem sich's hinten, am Ende verschüttelt, verschränkt. Manchmal nur Buchstaben, meistens einzelne, oder mehrere Silben, und das immer komplizierter, kunstvoller und im wahrsten Sinn des Wortes - ver rückter. Ganz einfach, für den Anfänger etwa:

Schicker Duft oder Wein baden
Dicker Schuft Beinwaden

also: Sch mit D und W mit b werden ver-schüttelt; icker und uft bzw. ein und aden bleiben in beiden Zeilen gleich.

Etwas komplizierter und im Wort selbst:

Es schwärmten kaum für Schweinehhirten, die Damen die um Heine schwirrten.

Das Schw aus dem Substantiv (Schweinehirt) kommt zum verbum (schwirren), das h aus dem Schweinehirten wird zum großgeschriebenen H des Dichternamens (Heinrich) Heine. eine und irten bzw. irrten bleiben in beiden Zeilen gleich. Kapiert?

Und so gehts weiter, bis zu den kompliziertesten, kaum mehr entwirrbaren Verschränkungen. Manche Verse ergeben sich oft wie von selbst, andere sind langwierig konstruiert, manche wirken nur beim Hören, andere wieder nur im Schriftbild. Ja, und reimen muss sich das Ganze natürlich auch. 
Doch für den wahren Schüttelprofi - dieses in Wahrheit geistreichen und intelligenten Spieles mit Worten und Reimen, das durch alle Zeiten die Gebildeten, oft auch durchaus ernsthaft beschäftigte - steht mehr der Sinn, meist der Witz im Vordergrund, die story, sozusagen der "Roman in zwei Zeilen". Das Handwerk, die meisterlich beherrschte Schütteltechnik, die Knappheit und Genauigkeit der Formulierung, wird einfach vorausgestzt. Lassen Sie sich also anstecken von dieser absolut ungefährlichen, aber dafür umso vergnüglicheren und äußerst befriedigenden Sucht.

Viel Spaß!

Ihr Miguel Herz-Kestranek